10 Jahre Grazer Erklärung und Interreligiöse Fachtagung 2023
„Wir haben keine Alternative zum Frieden. Wir haben keine Alternative zum Dialog.“
Dass der Dialog zwischen den Religionen in der Menschenrechtsstadt Graz tief verankert ist, machten die Eingangsstatements von Stadtrat für Integration Robert Krotzer, Jennifer Brunner (Koordinatorin der Geschäftsstelle des Interreligiösen Beirats und Leiterin des Projekts ComUnitySpirit – Religionen und Kulturen im Dialog), und dem Leiter des Afro-Asiatischen Instituts Johannes Mindler-Steiner besonders deutlich. Der Rolle der Auseinandersetzung mit der religiösen Vielfalt in der Ausbildung von Religionspädagog:innen widmete sich der Beitrag des Vizerektors der PPH Augustinum, Friedrich Rinnhofer.
Die vielfältigen Herausforderungen in unserer diversen Gesellschaft, die von Radikalisierung, Spaltung, Umweltzerstörung, Vereinsamung und globalen kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt ist, wurden von vielen Stimmen im vollbesetzten Gemeinderatssaal betont. Die Religionen seien zwar ambivalent und durchaus auch instrumentalisiert Teil der Probleme, doch besonders auch Ressourcen, um ein friedliches Zusammenleben in Vielfalt zu fördern.
Festredner Universitätsprofessor Leopold Neuhold erinnerte daran, dass Friede immer ein Prozess sei, der Empathie füreinander und ein echtes Zuhören voraussetzt. Es gelte in einem Umgang des Vertrauens, die friedensfördernden Elemente der Religionen zu erarbeiten. Während es für viele Positionen gegenwärtig hauptsächlich darum gehe, im Recht zu sein, die eigenen Taten mit Gott zu rechtfertigen und die anderen zu verdächtigen, gälte es sich wieder an Offenheit zu orientieren, sich auf die Suche nach einer gemeinsamen Wahrheit zu machen, den Dialog wirklich zu führen und in konkrete Handlungen umzusetzen, denn: „Wir haben keine Alternative zum Frieden. Wir haben keine Alternative zum Dialog“, so Neuhold.
Dass Religionsbildung Extremismus und Radikalisierung vorbeugen, betonte auch der islamische Gefängnisseelsorger und Lehrer Mehmet Celebi sowie Religionswissenschaftler und Hochschulprofessor Markus Ladstätter. In der Entwicklung der eigenen religiösen Identität liege der Schlüssel zum respektvollen, wertschätzendem Umgang mit dem Anderen und letztlich mit der gesamten Umwelt und allen Lebewesen, wie der Präsident der Buddhistischen Religionsgesellschaft Gerhard Weißgrab betonte. Mit der Überzeugung, dass Religionen auch die eigene Widerstandskraft gegenüber unserer krisenhaften Realität stärken können, reagierte der evangelische Pfarrer Markus Hütter auf ein bewegendes gemeinsames Statement von muslimischen, katholischen und buddhistischen Jugendsprecherinnen. Sie fordern Sichtbarkeit und Unterstützung ein, denn „die Zukunft gehört der Jugend“ und diese sieht sich auch in den Religionsgemeinschaften mit vielfachen Krisen konfrontiert „in einer herausfordernden Zeit, in der die Ungewissheit unsere Zukunft prägt“.
Eine zentrale drängende Problematik stellt der Umgang mit sozialen Medien dar, denn im Internet findet gegenwärtig am häufigsten Radikalisierung statt. Hier gilt es, so sind sich die Vertreter:innen aller Religionsgemeinschaften einig, Strategien zu entwickeln, um das Internet nicht radikalen Strömungen zu überlassen.
Die Wahrnehmung der „gesellschaftspolitischen Relevanz von Religionen“ (Gemeinderätin Claudia Unger), die Überzeugung, dass der interreligiöse Dialog vielfältig zu einer friedlichen Gesellschaft beiträgt sowie die entscheidende Rolle der nachfolgenden Generationen für ein gelingendes Miteinander blieben als zentrale Ergebnisse, aber vor allem auch als zukünftige Aufgaben für die Religions- und Bekenntnisgemeinschaften stehen.
Der zweite Tag der Veranstaltung führte die Teilnehmer:innen zuerst in die Ausstellung „Jetzt im Recht! – Wege zur Gleichbehandlung“, in der die Gleichbehandlungsanwaltschaft dokumentierte Fälle von Diskriminierung für den musealen Kontext aufgearbeitet hat. Elke Lujansky-Lammer führte vor Augen, dass gerade auch Religion ein Diskriminierungsgrund und die Fälle im Jahr 2023 enorm zugenommen hätten. Dieses Faktum hängt nicht zuletzt mit der von Ralf Grünke (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage) benannten Problematik zusammen, dass sich in der medialen Berichterstattung immer wieder aufs Neue dieselben Stereotype finden. So erfahre der „Islam eine nahezu ausschließlich negative Berichterstattung“. Grünke führte deutlich die Herausforderungen für „kleinere“ Religionsgemeinschaften, die weit weniger „Deutungsmacht und weniger politischen Einfluss“ besäßen, vor Augen und den Wunsch, die „Großen sollen sich im Sinne der Religionsfreiheit für die kleineren einsetzen“.
Die Frage nach begrenzten Ressourcen und die Möglichkeit zur Teilhabe stellten sich auch Amrita Böker (Koordinatorin der VinziWerke Österreich) und Zeynep Aygan-Romaner (Gemeinderätin der Grünen) in ihrem Gespräch über die sozialpolitische Rolle von Religionen: Beide betonten die vielfältigen Möglichkeiten für Engagement, insbesondere auch bei den VinziWerken, wo jede:r mitmachen kann, denn dafür spielen „Geschlecht, Ethnie, Religion und Alter keine Rolle“. Gleichzeitig warnte Aygan-Romaner vor „unfreiwilliger Freiwilligkeit“: eine Situation, in der weit mehr verlangt werde, als die eigenen Ressourcen zuließen. Das betrifft naturgemäß kleinere Religionsgemeinschaften besonders.
Die Diskussion zwischen dem preisgekrönten österreichischen Autor Josef Winkler und Hochschulseelsorger und Kunsthistoriker Alois Kölbl befasste sich mit dem Wechselspiel zwischen Kunst und Religionen. Kölbl machte deutlich, dass die „autonome Kunst der Kirche die Augen öffnen“ könne, gerade dort, wo „die Fragen des Existentiellen“ sich stellen. Winkler führte dieses Existentielle in seinen Schilderungen von den Feuerbestattungen der Hindus in der indischen Stadt Varanasi, dem Día de los Muertos in Mexiko und schließlich auch seiner Kindheitserfahrungen als Ministrant und in einem bildungsfeindlichen und die persönliche Entwicklung hemmenden dörflichen Umfeld aus an der er sich in seinen Werken „abarbeitet“. Aber:„Ohne katholische Kirche wäre nichts aus mir geworden“, so Winkler. In seiner Kunst erkenne er mit den Worten des französischen Autors Jean Genet Blasphemie, als einen anderen Zugang zu dem, was heilig ist.
Das letzte Podiumsgespräch zwischen der buddhistischen Nonne und Buddhologin Carola Roloff und dem Psychoanalytiker Rainer Friedl widmete sich dem Zusammenhang zwischen Religionen und psychosozialer Gesundheit. Religionen erfüllen einen „psychologischen Bedarf“, so Friedl, er warnte allerdings davor „kleine und isolierte Fragmente aus den Religionen“ zu entnehmen, da sie dann in ihrer „Funktion als Identitätsstütze gefährlich und toxisch“ werden können. Roloff zeigte deutlich, dass Religionen nicht nur eine immense Ressource darstellt und dass aus dem „Achtsam-Sein mit sich selbst, mit den anderen und der Umwelt Mitgefühl und Verantwortung“ erwachsen. Das schließt durchaus auch einen selbstkritischen Blick auf die eigene Religion und Institution ein.
Wie Markus Ladstätter in seinem abschließenden Resümee festhielt, ist die Menschheit im persönlichen und gesellschaftlichen Leben, besonders in diesen Zeiten der dauernden Krisen, mit vielfältigen Abgründen konfrontiert. Alle Religionen thematisieren diese Abgründe und wollen konstruktiv zu ihrer Überwindung beitragen. Sich diesen Herausforderungen mit dem Ziel einer pluralen, offenen Gesellschaft und dem friedlichen Zusammenleben zu stellen und konstruktiv an dieser Zukunft mitzubauen, sind zentrale Aufbauen, die alle Religionsgemeinschaften verbinden.
Eine Veranstaltung von Interreligiöser Beirat der Stadt Graz, ComUnitySpirit – Afro-Asiatisches Institut Graz in Kooperation mit Privater Pädagogischer Hochschule und Gleichbehandlungsanwaltschaft